Dreams on a Plate

VON WAHREN HELDEN UND DEM ERFINDER DES BRUNELLO DI MONTALCINO

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In Zeiten in denen sich alles immer schneller zu verändern scheint, sehnt man sich manchmal doch nach etwas, das Bestand hat. Nein ich bin keiner von diesen "früher war alles besser"-Typen, im Gegenteil. Schließlich verdiene ich mein Geld damit, die Welt zu verändern, wenn auch nur im Kleinen. Aber es gibt eben auch Dinge, die sind gut, so wie sie sind und egal wieviel Zeit vergeht, gibt es keinen Grund daran etwas zu ändern.

Das gilt zum Beispiel für die traditionsreiche Kellerei Il Greppo im toskanischen Montalcino, wo Ferruccio Biondi Santi den berühmten Brunello di Montalcino erfand, indem er einen speziellen Klon der Sangiovese Traube züchtete. Im Jahre 1888 wohlgemerkt.

Heute gibt es über 250 Betriebe, die den streng reglementierten "Brunello di Montalcino" anbauen. Viele davon bemühen sich um einen moderneren Ausbau, um schneller trinkreife Weine auf den Markt zu bringen. Nicht so bei Biondi Santi. In der vierten Generation produziert der Familienbetrieb die toskanische Legende noch immer so wie vor 250 Jahren. Das Ergebnis sind Weine, die viel Zeit brauchen, sich aber dann zu wahren Legenden entwickeln.

L'Eroica

Neben meiner Leidenschaft für guten Wein gibt es aber noch eine zweite Legende, die mich eng mit der Toskana verbindet. Ca. 1.000km südlich von hier liegt eines dieser toskanischen Bergdörfer, in denen tatsächlich die Zeit stehen geblieben zu sein scheint: Gaiole in Chianti. Ein ganz entspanntes Örtchen mit tollen alten Gebäuden aus Bruchstein, in dem ausser drei Bars und einem kleinen Supermarkt eigentlich nicht viel los ist. Doch einmal im Jahr, am ersten Wochenende im Oktober bricht hier ein höllisches Spektakel los. Die "Eroica" - die "Heldenhafte", ein historisches Radrennen durch die toskanischen Weinberge. "Das klingt doch ganz entspannt, was soll daran heldenhaft sein?" möchte man fragen. Aber die Eroica, die dieses Jahr zum 10. Mal statt findet, hat nicht ohne Grund internationalen Kultstatus. Aus allen Ländern der Welt reisen 7.000 Radsportbegeisterte mit ihren rostigen Schesen an und mindestens genau so viele bleiben traurig zuhause, weil sie bei der Verlosung der Startnummern kein Glück hatten.

L'Eroica

Ich hatte Glück und konnte zusammen mit vier meiner engsten Freunde zum vierten mal in Folge an diesem Spektakel teilnehmen. Im Gepäck eine hellgrüne Pinarello SLX Baujahr 1983 und ein ordentliches Weinglas.

Die Krux der Eroica liegt im Bodenbelag - die "Strada Bianca" - die schmalen Feldwege aus hellbraunem, fast weißem Schotter die die toskanische Landschaft durchziehen wie feine Adern. Sie sind auch der Grund, warum es die Eroica gibt. Vor genau 10 Jahren saßen ein paar italienische Männer in Gaiole in einer Bar und unterhielten sich über Fortschritt, Veränderung und Beständigkeit und weil im Zuge des Fortschritts immer mehr Strecken der Strada Bianca zubetoniert wurden - wegen des Staubs und den unbequemen Fahreigenschaften - beschloss man, die alten Bikes aus dem Keller zu holen, die von Motten zerfressenen Wolltrikots überzustreifen und ein Zeichen zu setzen. Zur Rettung der Strada Bianca.

L'Eroica

Heute, Zehn Jahre später, gibt es sie noch die Strada Bianca und die Eroica entwickelte sich zu einem viertägiges Spektakel von Weltruhm. Jedem Teilnehmer bleibt selbst überlassen, wie weit er die Zeit zurück drehen möchte, solange es vor 1984 ist. So alt muss das Fahrrad mindestens sein, um Teilnehmen zu können. Und so finden sich schnurrbärtige Männer in viktorianischen Klamotten auf Hochräder des vorletzten Jahrhunderts ebenso dort ein, wie fast neuwertig wirkende italienische Stahlrenner mit den feinsten jemals hergestellten Campagnolo Super Record Komponenten aus den 1980er Jahren.

L'Eroica

Es ist Sonntag. Der große Tag des Rennens. 5:00h morgens. Der Wecker klingelt. Wach war ich schon vorher. Gefühlt habe ich gar nicht geschlafen. Der Kaffee geht gut rein, mit fester Nahrung ist das schon schwieriger, aber ich werden die Kohlenhydrate brauchen. Ich weiß genau was auf mich zukommt. Vor mir liegen 14h körperliche und emotionale Grenzerfahrung. Es ist noch dunkel, dieses Jahr garnicht so kalt wie erwartet und zum Glück regnet es nicht. Wir mischen uns im Startkanal unter die anderen Mitstreiter und arbeiten uns langsam Schrittweise vor zur technischen Kontrolle. Links von mir steht Erik Zabel und scherzt mit seinen Teamkollegen. In Bruchteilen einer Sekunde kontrollieren vier alte Herren jedes einzelne Bike auf die im Reglement vorgeschriebenen Eigenschaften. Außen verlegte Bremszüge, Rahmenschalthebel ohne Indexierung, Pedale mit Körbchen und Riemchen - hab ich alles zu bieten nur Speichen habe ich eigentlich vier zu wenig. Aber niemand kann so schnell 36 Speichen nachzählen. Zum Glück.

Es geht los. Glücklicherweise geht es erst mal bergab. Es ist leise. Man hört nur den Wind und das rasseln der Freiläufe. Was für ein Gefühl. Genau dafür sind wir hier. Die Tränen in den Augen könnten auch vom Fahrtwind sein, sind sie aber nicht. Aus Erfahrung weiß ich, dass wir noch bitter dafür bezahlen werden, aber jetzt grade ist ein Moment, an dem man die Zeit anhalten möchte.

L'Eroica

Nach einiger Zeit biegen wir ab nach Brolio. Es geht bergauf. Moderat zum Glück und auf Teer. Läuft ganz gut - "pedabile" wie der Italiener sagt. Oben in Brolio genehmigen wir uns erst mal einen Espresso im Cafe del Eroica.

Die Pause tut gut, denn direkt hinter Brolio beginnt die Strada Bianca. Die Strecke sieht magisch aus. Es ist leicht nebelig und am Wegesrand stehen kleine Fackeln. Harry Potter hätte seine reinste Freude hier. Die ersten Mitstreiter steigen ab und schieben. Schieben ist keine Schande auf der Eroica - ich werden später auch noch schieben, aber nicht jetzt, dieses Stück werden ich fahren. Um jeden Preis.

Die hellgrüne Pinarello SLX unter mir schnurrt wie ein Kätzchen, als wäre es 1983. Wäre doch nur mein Körper auch noch so wie 1983, dann wäre das hier alles viel einfacher. Im gleichen Moment in dem ich das denke, werden ich von einem 8o-jährigen überholt. Autsch. Von diesen super-fiten Greisen gibt es viele hier. Irgend wann gewöhnt man sich daran.

L'Eroica

Es bleibt anstrengend. Nur ein Bruchteil der Kraft, die ich auf das Pedal gebe, wird in Vortrieb umgewandelt. Das meiste nimmt sich der Schotter unter mir, der mit martialischem knirschen kleine Steine ins Rollen bringt, anstatt meinen Reifen Grip zu geben.

Endlich erreichen wir die erste Verpflegungsstation. Ein volksfestähnliches Treiben mit netten Menschen in alten Klamotten, die den Eindruck machen, als hätten sie sich das ganze Jahr schon darauf gefreut, an erschöpfte Radfahrer Chianti in Plastikbechern auszuschenken. Es gibt frische Trauben, Marmeladebrot, Salami und Schinken im Überfluss. Kööstlich.

L'Eroica

Nach einer kurzen Pause geht es weiter Richtung Süden. Die Landschaft ist atemberaubend schön, die Wolken am Himmel sorgen für ein malerisches Lichtspiel und bewahren uns vor dem Hitzetod. Die Euphorie hält sich über Stunden, trotz der Schmerzen in den Oberschenkeln und dem feinen weißen Staub zwischen den Zähnen. Jetzt bloß nicht den Abzweig verpassen. Gerade aus geht's nach Montalcino und links geht's nach Hause.

Wir fahren links. Die Strecke über Montalcino ist nicht zu schaffen. Selbst wenn nicht der größte Teil der Strecke auf Schotter wäre und Montalcino nicht auf einem 600m hohen Berg liegen würde, wäre der PERCORSO LUNGO mit 209km einfach zu lang. Wir geben uns mit etwas weniger zufrieden und biegen links ab Richtung Gaiole.

Montalcino hole ich nach, denke ich mir im Geheimen. Zuhause, im Glas. Denn zum Glück kann man das Beste, was Montalcino zu bieten hat, in Flaschen kaufen. Was für ein Glück.
Ab jetzt geht es fast nur noch bergab, bis wir im Licht der letzten Sonnenstrahlen des Tages die Zieleinfahrt in Gaiole erreichen. Wieder mit Tränen in den Augen, völlig erschöpft aber glücklich. Wenn das der Preis ist - wenn man sich 14 Stunden auf italienischem Schotter abrackern muss, um dieses Gefühl zu haben, das ich gerade habe, dann war es das wert. So fühlt sich Held-sein an.

Inzwischen bin ich wieder zuhause. Das Heldentum ist abgeklungen, die Pinarello steht von weißem Toskana-Staub bedeckt im Keller und ich schwelge in Erinnerungen. Da trifft es sich gut, das der Italien-Wein-Spezialist dall-italia.de mir eine Flasche Brunello Biondi Santi hat zukommen lassen. Nicht irgend einen, sondern einen 2010er. Einen der wenigen ausgewiesenen Jahrhundertjahrgänge, die mit von Künstlerhand bemalten Kacheln am Rathaus von Montalcino angeschlagen werden. Wer hätte das gedacht, dass der Moment schon so bald kommen würde, an dem ich meine Montalcino-Reise nachholen kann. Im Geheimen. Zuhause, im Glas.

Brunello Biondi Santi 2010

Eigentlich bin ich für den Jahrgang 2010 noch 10 Jahre zu früh dran. Direkt nach dem Öffnen gibt der Wein sich erwartungsgemäß ziemlich zugeknöpft. Aber mit etwas Trickserei kann ich dem Wein das abringen, was man sonst nur mit Viel Geduld und Zeit erreichen kann. Doppeltes dekantieren und gut 3h Zeit zum Atmen bringen den Wein dann doch dazu, sich langsam zu öffnen.

Im Glas wirkt der Wein fast ein bisschen dünnflüssig. Er hat nicht die visuelle schwere die man sonst vom Brunello kennt, doch der Schein trügt. Riecht man das erste mal am Glas, ist wieder klargestellt, in welcher Liga hier gespielt wird.

Es riecht nach feuchter Erde, und Walderdbeeren. Dazu gesellen sich dezente florale Noten, Wildkirsche, ein Hauch von nassem Gras und wilden Kräutern - wie eine Lichtung mit Morgentau im Wald. Ich bin begeistert! Der Geschmack knüpft direkt daran an - wunderbar modrige Unterholztöne, neues Leder, schwarzer Tee, Fenchel. Reife aber sehr präsente Frucht. Die Tannine noch etwas vordergründig - was zum kauen, wie man so schön sagt. Die Säurebalance auch nicht ganz perfekt aber ich denke das wird noch.

Und so kam es auch. Mit jedem Schluck entdecke ich neue Aromen. Kein Schluck ist wie der andere. Der Wein erzählt eine spannende Geschichte, die über zwei Stunden keine Langeweile aufkommen lässt. Die Tannine sind inzwischen zart wie Seide, die Säure fein integriert. Erstaunlich wie der Wein sich von Minute zu Minute entwickelt. Jeder Schluck bringt neue Nuancen hervor und endet in einem lang anhaltenden Finish.

Fazit

Ein Wein voller Raffinesse, komplex, kraftvoll und majestätisch. Biondi Santi hat alles richtig gemacht, der Tradition treu zu bleiben. Wer Geduld hat, lässt ihn besser noch bis 2030 liegen. Hätte ich eine zweite Flasche - ich würde es tun. Aber mit viel Luft ist er auch jetzt schon ein spektakulärer Brunello.

Il Greppo Biondi Santi

BRUNELLO DI MONTALCINO DOCG, 2010
Toskana, Italien
€ 109,- z.B. bei dall-italia.de

Vielen Dank an dall-italia.de, die mir diesen Wein kostenlos zur Verfügung gestellt haben.