Dünnbrettbohren für Kochanfänger

Ich bin ein großer Fan von Timothy Ferriss. Als einer der gerne Biographien von Selfmade-Millionären liest und großen Spaß an diesen Business-, Motivations- und Effizienzsteigerungsratgebern hat, kommt man einfach nicht an ihm vorbei. Mit seinem Bestseller “The 4-Hour Workweek” - die 4-Stunden-Woche - ist Tim Terris zu Recht weltweit berühmt - und wenn er’s nicht schon vorher war - auch zum Millionär geworden.

Wenn man seinem ersten Buch glauben darf, schafft er es, mit einem Zeitaufwand von nur 4h pro Woche seine Erwerbstätigkeit abzuhandeln, indem er auf beeindruckende Weise priorisiert, souverän Verantwortung delegiert und so ziemlich alles, was keinen Spaß macht an ein Heer von persönlichen Assistenten in Billiglohn-Ländern out-sourced.

Das Prinzip, die größten Erfolge mit der geringsten Menge an Aufwand oder Zeit zu erzielen, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Bücher wie z.B. “The 4-Hour Body” und ebenso auch durch sein neuestes Werk “The 4-Hour Chef”.

Ich war natürlich sofort neugierig nicht zuletzt, weil er es damit direkt wieder auf sämtliche Bestseller-Listen geschafft hat und mit 4,5 von 5 Amazon-Sternen zumindest den amerikanischen Leser uneingeschränkt zu begeistern scheint.

Irgendwie soll es ein Kochbuch sein - aber irgendwie auch wieder nicht. Ich wollte es dann doch genauer wissen und hab’s bestellt, trotz der fast € 30,- für ein Taschenbuch. Als es dann kam, relativierte sich mein Entsetzen wieder etwas - mit 672 Seiten und über 1,5 kg Gewicht braucht man doch eine ziemlich große Tasche, wenn das ein Taschenbuch sein soll.

Ob es das Buch irgendwann auch auf deutsch geben wird, weiß ich nicht. Angesichts Tim Ferris’ Geschäftssinn auf jeden Fall, wenn ich an den armen Tropf denke, der das Buch übersetzen soll, doch eher nicht. Zu groß sind die kulturellen Gräben, die sich da zwischen uns Mitteleuropäern und den Amis aufzutun scheinen. Ohne eine “massive Marktanpassung” - wie es so schön heißt, ist das sicher nicht zu machen.

Die größte Sorge von Tim Ferriss - und offenbar auch die des gemeinen Amerikaners - ist es, sich nach dem Kochen beim Spülen zu überanstrengen. Deshalb empfiehlt Ferriss auch gerne, das von ihm mit Hingabe auf Sterne-Niveau zubereitete Festmahl auf Papptellern zu servieren - die kann man danach einfach wegschmeißen. Halleluja. - Und Achtung, der Knaller kommt erst noch: In den USA kann man was ganz Besonderes kaufen, und das scheint in jeden amerikanischen Haushalt zu gehören, wie bei uns die CEWA-Rolle: “Pan-Saver-Folie”. Eine rund zugeschnittene, hitzebeständige Plastikfolie, die zum Kochen und Braten in die Pfanne gelegt wird, damit Sie nicht schmutzig wird. Ich lach’ mich schlapp.

Diese Effizienz-Steigerungs-Nummer scheint im Job ja absolut Sinn zu machen, aber beim Kochen nervt mich’s zunehmend. Bei einem Gericht, das aus acht Zutaten und in acht Arbeitsschritten zubereitet werden soll, ist Ferriss erste Frage, ob man das nicht auch mit der Hälfte der Zutaten und in nur vier Arbeitsschritten machen kann. Wenn’s dann etwas mehr als halb so lecker wird, ist es ein voller Erfolg. Hallo? Geht’s noch? So rein mathematisch scheint das ja hinzukommen, aber wo ist denn da die Leidenschaft? Respekt vor den Zutaten? Die Kuh hat für das Fleisch ihr Leben gelassen und dann wird rumgepfuscht, um Zeit zu sparen? Ich bin entsetzt.

Tim Ferriss lässt auch gerne mal - oder eigentlich immer - die Kohlenhydrate weg. Alle Rezepte werden als “Slow-Carb-kompatibel” angepriesen. In seinen Buch “The 4-Hour Body”, in dem es um effizienzoptimierte Diäten und Fitness geht, ist das ein berechtigtes Schlüsselelement. In “The 4-Hour Chef” kann er irgendwie nicht davon ablassen. Das führt dazu, das ich mir immer wieder die Frage stellen musste: Was machen wir hier gerade? Kochen wir oder machen wir eine Diät?

Der Fairness halber muss man zugeben, dass Ferriss selbst in der Einleitung seines Buches sagt, dass es kein Kochbuch sei, sondern viel mehr ein Ratgeber über effizientes Lernen am Beispiel des Kochens. Funktioniert das? -Ja irgendwie schon. Es bleibt aber die Frage des Anspruchs. Möchte ich eine Sprache gerade so gut beherrschen, dass man einigermaßen verstehen kann was ich meine? Vieleicht ja. Besser als nix. Möchte ich gerade so gut kochen können, dass man’s essen kann ohne sich zu übergeben? Eher nicht.

Fassen wir zusammen: Der Koch in mir ist entsetzt, der Geschäftsmann in mir ist mäßig inspiriert, der Lebenskünstler in mir ist gelangweilt. Die 4-Stunden-Nummer nervt. Nichts in diesem Buch dauert 4 Stunden. Blöder Marketing-Trick, funktioniert aber offensichtlich.

Für absolute Küchennovizen ist es aber sicher ein geeignetes Buch, um einen schnellen Einstieg in die Kocherei zu bekommen. Es nimmt die Angst vor Niederlagen, es macht neugierig und es vermittelt Grundlagen. Das Versprechen “learn to cook like a pro” wird aber nicht eingelöst. Das, was man in diesem Buch über das Kochen lernen kann, entspricht ungefähr einem “für Elise” auf dem Klavier. Ausreichend, um als Ahnungsloser, Ahnungslose zu beeindrucken. Aber wem klar ist, dass Kochenlernen eine endlose wunderschöne Reise ist, der kann mit diesen Buch auf den ersten Metern der Schnellste sein.

  • The 4-Hour Chef: The Simple Path to Cooking Like a Pro, Learning Anything, and Living the Good Life * - von Timothy Ferriss
  • Sprache: Englisch
  • EUR 28,99 als Taschenbuch
  • EUR 10,02 als Kindle eBook
  • 672 Seiten
  • 1.500g
  • Platz 68 Amazon BestSellers in Cookbooks, Food & Wine